Mutter Gottes führt Regie

Interview mit Bischof Stefan Oster SDB zur Aktualität Don Boscos und des salesianischen Charismas.
Salesianer Stefan Oster bei seiner Bischofsweihe in Passau 2014

Anlässlich des 200. Geburtstags des Heiligen und Ordensgründers Don Giovanni Bosco gibt das päpstliche Verlagshaus Libreria Editrice Vaticana einen Sammelband über die Aktualität der Pädagogik und des pastoralen Programms des Apostels der Jugend heraus. Michaela Koller sprach für dieses Projekt mit Bischof Stefan Oster von Passau. Vor einem Jahr ernannte Papst Franziskus den Salesianerpater und Dogmatikprofessor in Benediktbeuern zum 85. Bischof von Passau. Im Gespräch verriet der Bischof, wie die Geschichte seines Ordensgründers ihn berührte und wie das Fest Maria, Hilfe der Christen, ihn in besonderer Weise mit Don Bosco verbindet.

Warum haben Sie sich dafür entschieden, Salesianer Don Boscos zu werden?

Am Anfang steht die Erfahrung, dass ich mein Leben Gott zur Verfügung stellen soll. Das ging allem voraus. Dann habe ich gefragt: Wo? Ich bin an mehreren Punkten meines Lebens dahin gekommen, dass ich Don Bosco entdeckt und zugleich immer eine besondere Nähe zum Thema Pädagogik für Kinder und junge Menschen gehabt habe. Ich weiß noch, dass ich damals oft gesagt habe: Wenn ich nicht Journalist wäre, fände ich den Beruf des Kindergärtners super. Es gab sehr viele Erfahrungen, wie ich mit Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen unterwegs war. Irgendwann habe ich dann eine kleine Biographie von Don Bosco gelesen und da hat es mich richtig „erwischt“. Ich habe gedacht: Da gehöre ich hin.

Können Sie sich an diese erste bewusste Auseinandersetzung mit Ihrem Ordensgründer genauer erinnern? Was hat Sie von der Geschichte, von dem Leben Don Boscos berührt?

Nach dieser Erfahrung, dass ich mein Leben zur Verfügung stellen muss, war ich auf der Suche. Am Anfang habe ich gedacht, dass vielleicht die Jesuiten infrage kämen, da ich philosophisch und medial unterwegs war und dachte, das könnte passen. Ich war mir dabei aber selbst verdächtig, ob es da nicht um Eitelkeit gehen könnte. Ich habe dann einmal einen Freund aus Regensburg gefragt, was die Salesianer machen. Er sagte, sie arbeiteten mit Lehrlingen, das sei nichts für mich. In der Zeit, als ich in München beim Süddeutschen Verlag arbeitete, schaute ich mir am Wochenende Klöster an, unter anderem auch Benediktbeuern. Ich dachte: Oh, liegt das schön und sie haben auch eine Hochschule, aber vielleicht haben die Jesuiten die Bessere.

Von dort habe ich die kleine Biographie von Don Bosco mitgenommen. Sie lag dann wochenlang unberührt auf meinem Nachtkastl. Ich habe in der Zeit versucht, wie ein Ordensmann zu leben: morgens und abends intensive Gebetszeiten und öfter in die Messe zu gehen. Eines Abends habe ich dann innerlich einen Film ablaufen sehen, einen Film, in dem ich alle Szenen in meinem Leben sah, in denen ich mit jungen Menschen und für junge Menschen unterwegs war. Das war eigenartig. Ich dachte, dass ich doch einmal die Biographie lesen müsse. Ich habe sie dann aufgeschlagen. Das Erste, das ich darin las: Don Bosco war ein Gaukler. Er führte Kindern und jungen Menschen Kunststücke vor und als Eintritt erbat er, ein Ave Maria oder Vaterunser mit ihm zu beten.

Das hat sofort eine Verbundenheit geschaffen?

Ich dachte: Ja, so etwas. Ich war damals immer wieder als jonglierender Clown unterwegs. Das war ein erster Anknüpfungspunkt. Ich las das Büchlein dann in einem Zug durch und habe danach im Prinzip gewusst, wo ich hingehöre. Das Mitwirken an der Menschwerdung des Menschen. Das ist mein innerer Antrieb, dies zu tun, unter den Augen Gottes, dem liebenden Blick Gottes, daran mitzuwirken. Das ist das Herzstück, worum es da geht. Der pädagogische Impetus von Don Bosco ist das, was mich am meisten bewegt hat.

Eine weitere Parallele ist der Optimismus und die Freude, die bei Don Bosco sprichwörtlich auffielen. Wie bewahren Sie sich Ihre Fröhlichkeit, auch in Situationen, in denen Sie als Bischof herausgefordert sind?

Das hat etwas damit zu tun, was Papst Franziskus sagt, der übrigens eine salesianische Schule besucht hat und einen Salesianerpater als seinen geistlichen Lehrer bezeichnet: Die Freude des Evangeliums erfüllt das Herz und das ganze Leben derer, die Jesus begegnen. Das Bemühen um die Begegnung mit dem Herrn und das Auflebenlassen seiner Gegenwart, sich da hinein nehmen zu lassen, dass er gegenwärtig ist, das ist die Quelle meines Lebens. Ich suche sie immer wieder unmittelbar. Es gibt, so glaube ich, keine wirkliche Freude am Evangelium ohne ein substantielles Gebetsleben.

Was ist für Sie das Besondere am salesianischen Charisma?

Zusätzlich zur Freude an Gott ist es die bevorzugte Liebe zu den Menschen am Rand, besonders auch zu den jungen Menschen. Gott liebt in besonderer Weise die Kinder und die jungen Menschen; sie sind gefährdet. Eines der großen Stichworte Don Boscos ist Assistenz, Dabeisein, mit den jungen Menschen unterwegs sein, mit ihnen reden, nicht nur über sie reden, von oben herab. Wir sagen manchmal den Satz, von dem wir gar nicht genau wissen, ob er original von Don Bosco ist: Fröhlich sein, Gutes tun und die Spatzen pfeifen lassen. Mir wird immer bewusster, wie sehr das nicht nur ein netter Satz für Kindergarteneinweihungen ist, sondern ein richtiges geistliches Programm: Unter den Bedingungen von heute einerseits das Evangelium klar und wahr zu verkünden, und andererseits zu sagen: Dann lass sie halt reden, auf dich einschlagen und versuche dabei im Frieden und in der Freude zu bleiben.

Ein Programm, das auch auf die Aktualität der salesianischen Sendung, der Pädagogik Don Boscos, verweist...

Das, was uns Don Bosco als Pädagoge hinterlassen hat, ist die Präventivmethode. „Praevenire“ heißt zuvorkommen, also die zuvorkommende Liebe Gottes leben. Er sagt: Sei mit den Jugendlichen, gewinne ihr Herz, gewinne ihre Freundschaft, damit sie, bevor sie einen Schmarrn machen, mit dir schon unterwegs sind, sich von dir bewegen und von dir zu Gott führen lassen. Das bedeutet, nicht erst reparativ oder gar repressiv mit Jugendlichen zu arbeiten. Prävention ist gerade heute ein sehr aktuelles Stichwort, ob es um Gesundheit, Süchte oder Pädagogik geht. Don Bosco hat das ganz früh gesehen. Natürlich betrifft es auch – für mich sehr wichtig – das Thema Glaubenskommunikation. Wir tun uns heute ja wirklich schwer als Kirche mit jungen Menschen ins Gespräch zu kommen, ihnen zu vermitteln, was wir glauben, ihnen den Blick und das Herz zu öffnen. Wenn man versucht, in der Weise wie Don Bosco unterwegs zu sein, dann geht das schon.

Fehlt gerade auch im Umgang mit jungen Leuten das rechte Maß zwischen Geduld und Klarheit bei der Vermittlung von Glaubenswissen, damit sie es auch annehmen können?

Einerseits gilt es, die jungen Menschen zu akzeptieren in dem, was sie sind, anderseits sie aber in dieser Akzeptanz nicht einfach stehen zu lassen, sondern sie in der Geduld und in der Hoffnung mitzunehmen. Das kann man tun, ohne die Wahrheit preiszugeben. Der heilige Paulus spricht in seinen Bildern von der Milch und von der festen Speise. Man kann den Jugendlichen nicht die Wahrheit wie einen nassen Lappen um die Ohren schlagen, sondern muss ihnen da hinein helfen wie in einen warmen Mantel und das kann ein bisschen dauern, bis sie drin sind. Wer ist schon je ganz drin?

Wie war Ihre persönliche Erfahrung auf Ihrem Glaubensweg als Jugendlicher? Welche Vorbilder haben Sie angezogen?

In der Kirche hatte ich zunächst meine besten Freunde und habe da immer Menschen kennengelernt, die ganz wohlwollend waren. Kirche habe ich ganz selten als repressiv erfahren. Ich kann mich daran erinnern, dass es in Amberg, wo ich aufgewachsen bin, einen sehr strengen Pfarrer gab, als ich Ministrant war. Aber da war auch ein Kaplan, der der Puffer dazwischen war und sich um uns gekümmert hat und mit uns unterwegs war. Ich habe nie geglaubt, mich gegen etwas Altes oder Überkommenes emanzipieren zu müssen. Das war ein Glück. Auch ältere Jugendliche, die damals als Gruppenleiter Verantwortung übernommen haben, als ich Kind war, von denen ich dachte, das sind tolle Burschen, waren Vorbilder. Später – auf der intellektuellen und spirituellen Ebene – kam mein großer Lehrer Ferdinand Ulrich dazu. Aber es hat auch Vorbilder in meiner eigenen Ordensgemeinschaft gegeben. Wissen Sie, die Menschen, die einem die Erfahrung schenken, dass sie den „Karren Kirche“ wirklich innerlich ziehen und uns in Richtung Reich Gottes bewegen, das sind nicht so viele. Die Durchschnittlichkeit überwiegt bei uns allen. Aber es gibt den einen oder anderen Leuchtturm, Mann oder Frau, manchmal sogar in der Verborgenheit, aber da merkt man einfach, dass das Evangelium die Wahrheit ist.

Und welche Diktion hat sie eher abgeschreckt?

Natürlich will ich auch die Wahrheit wissen. Es hilft mir nicht, wenn jemand allzu lang und allzu sehr herumeiert. Es ist eine Gratwanderung, den Menschen da abzuholen, wo er steht, und ihn zugleich mit der Wahrheit herauszufordern und klar zu sein. Mein Wahlspruch „Der Sieg der Wahrheit ist die Liebe“ verdeutlicht, dass die umstrittenen Wahrheiten, die wir schwer verdauen, nur unter der Voraussetzung der Liebe angenommen werden können. Dabei geht es am Ende um Heiligkeit. In unserer Kirche gibt es da eine große Schwierigkeit: Auf der einen Seite gibt es die Rechtgläubigen, die die Wahrheit mit den Löffeln gefressen haben, und die anderen, die davon nichts mehr wissen wollen und sagen, es habe nichts mehr mit ihrer Wirklichkeit zu tun. Die versöhnte Mitte zwischen beiden ist die Heiligkeit. Schauen Sie, wie unfassbar demütig Jesus war – und trotzdem erscheint er manchmal unglaublich streng. Und wir empfinden dies nicht als Widerspruch.

Welche Beispiele von Don Boscos pädagogischen und pastoralen Programm haben Sie am meisten berührt?

Jetzt gerade ist mein Mitbruder Lothar Wagner in Sierra Leone, für dessen Arbeit ich auch viel Werbung mache. Und was für ein Salesianer er ist. Ich kenne eigentlich niemanden, der soweit rausgeht, mit seiner ganzen Existenz, seinem ganzen Leben. Da leuchtet etwas von Jesus auf.

[Bruder Lothar Wagner, Salesianer Don Boscos, arbeitet dort als Streetworker und leitet eine Einrichtung für heimatlose Kinder und Jugendliche. Wegen seines Einsatzes gegen Kinderprostitution wurde er schon mehrfach bedroht. Trotz der dramatischen Ansteckungsgefahr durch Ebola unterstützt er weiter junge Menschen, die die Seuche zu Waisen gemacht hat, und davon betroffene Familien; Anm. d. Red.]

Don Bosco hat die Verehrung der Muttergottes unter dem Titel „Maria, Hilfe der Christen“ in die Spiritualität des Ordens integriert, ein Fest, das wir am 24. Mai feiern. Was wissen Sie darüber, wie Don Bosco auf diese besondere Marienverehrung gekommen ist?

Als ich Salesianer Don Boscos geworden bin, habe ich irgendwann erfahren, dass Don Bosco die Muttergottes zunächst als Immaculata verehrte und dann wohl gemeint hat, da müsse so ein aktiveres Moment hinein. Wir wissen eigentlich nicht so genau, warum das so war: Aber sicher ist ja, dass es von hier, von Süddeutschland aus, eine Bewegung durch die Entstehung der Mariahilf-Bruderschaften gab und sicher kam dies auch bei Don Bosco an. Er hat dann eben begonnen, sie unter diesem Titel zu verehren. Heute wird in Südeuropa und Lateinamerika Mariahilf immer mit Don Bosco in Verbindung gebracht. Er hat in Turin die große Mariahilf-Basilika gebaut und in der liegt er auch begraben. Don Bosco hat – weil er diesen 24. Mai so geliebt hat – an jedem 24. im Monat in seinen Häusern den Mariahilfsegen gespendet. Er hat einen besonderen Segen geschrieben und sich diesen vom Papst approbieren lassen.

Sie haben persönlich zu diesem Fest einen besonderen Bezug, nicht wahr?

Ich bin in Amberg im Marienkrankenhaus geboren, unterhalb des Mariahilfbergs. Ich bin dort bis zu meiner frühen Jugend aufgewachsen und habe dort an diesem Berg im Wald gespielt, Indianer, Fußball und was auch alles. Einmal im Jahr fand das große Bergfest am Mariahilfberg statt, die Franziskaner predigten dort und es war sehr aufregend. Einmal haben sie mir in dem Krankenhaus das Leben gerettet, oder zumindest den Verstand: Ich bin in der Nacht mit einer Meningitis eingeliefert worden und zunächst wollte keiner helfen. Da hat mein Vater als junger Mann dort das Haus zusammengeschrien, damit endlich jemand zur Hilfe eile. Ein Arzt kam dann und stellte fest, was ich hatte. Wenn sie es später erkannt hätten, dann wäre ich zumindest geistig behindert geworden.

Meine allererste heilige Messe in Passau habe ich am Mariahilfberg gefeiert, die Hochzeit von Peter Seewald [als Pater Stefan Oster, bevor er Bischof wurde; Anm. d. Red.].

Als ich dann zum Bischof ernannt wurde, kamen die Passauer zu mir und haben gesagt, wir müssten bald die Weihe organisieren. Ich fragte sie, für wann denn. Sie sagten: am 25. Mai. Ich fragte, ob wir vielleicht den 24. Mai festlegen könnten, weil es unser Hochfest Mariahilf ist. Das sei unmöglich, antworteten sie, weil an einem Samstag im Mai viele Hochzeiten stattfinden. Ich habe dann den Kardinal [Reinhard Marx, Erzbischof von München und Freising, Anm. d. Red.] angerufen und gefragt. Er sagte, er habe nur am 24. Mai Zeit.

Dann komme ich nach Passau und werde hier Bischof und erfahre, dass von hier die Mariahilf-Verehrung quasi ihren Ausgang genommen hat. Zumindest war hier ein starker Kristallisationspunkt, weil das Kaiserpaar [Kaiser Leopold I., der 1683 nach Passau geflohen war] hier gegen die Türkengefahr gebetet hat. Als sie dann das Gebetskärtchen für die Bischofsweihe mit allen Daten zusammengestellt haben, gab es noch einmal einen schönen Zufall: Ewige Profess am 24. Juli, Priesterweihe 24. Juni und Bischofsweihe 24. Mai. Ich bin überzeugt davon, dass die Muttergottes in meinem Leben Regie führt.

(Zenit)

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