"Kirche sollte mehr auf Ordensfrauen setzen"

Die Kirche wäre gut beraten, das enorme Führungspotenzial von Ordensfrauen besser zu nutzen. Das betont der Pastoratheologe Prof. Paul M. Zulehner. Viele Ordensfrauen würden im Ordensbereich in anspruchsvollen Leitungspositionen wirken, und viele von ihnen würden "zumindest so kompetent, wenn nicht gar umsichtiger leiten als Dechanten, Generalvikare oder Bischöfe", zeigte sich Zulehner überzeugt. Er äußerte sich in einem Beitrag im aktuell erschienenen Buch "'Ein bisserl fromm waren wir auch'. Ordensfrauen erzählen", das am 28. April in Innsbruck erstmals präsentiert wird.
In seinen Ausführungen stellte der Pastoraltheologe auch die Frage nach der Ordination von (Ordens-)Frauen und meinte wörtlich: "Manchmal laden mich Gemeinschaften zu ihrem Provinzkapitel ein, um dem Gottesdienst vorzustehen. Da denke ich mir, es gäbe genug theologisch wie spirituell begabte Schwestern in ihrer Mitte, die umstandslos ordiniert werden könnten. Es wird ja auch immer schwieriger, nicht nur für Pfarrgemeinden, sondern auch für Ordensgemeinschaften, einen 'eigenen' Priester zu finden. Für mich ist das allein ein Grund, zielstrebig über die Ordination von Frauen nachzudenken.
" Im Zuge des Kirchenumbaus würden von manchen Kirchenleitungen die Pfarrgemeinden infrage gestellt, gab Zulehner zu bedenken. Diese würden durch manche an der Priesterzahl orientierte Strukturveränderung noch zusätzlich geschwächt. Einige erhofften sich, dass die geistlichen Bewegungen künftig das Evangelium im Land präsent halten. Bei solchen Strukturänderungen würden aber die Orden nicht selten übersehen, beklagte der Pastoraltheologe. Es scheine, "als hätten manche Verantwortliche sie bereits für tot erklärt".
Die geistlichen Bewegungen mit ihrem Fokus auf apolitische Spiritualität könnten aber die gesellschaftliche Kraft der Orden nicht ersetzen, zeigte sich Zulehner überzeugt: "Die Orden waren und sind eine der stärksten Kräfte der Kirche in unseren modernen Gesellschaften." Deren Schwächung werde tragischerweise auch die Kirche im Land nachhaltig schwächen. Zulehner: "Eine Kirche ohne Orden wird eine ziemlich introvertierte und spiritualisierende Kirche sein - wobei eine solche Befürchtung lediglich durch eine starke Caritas abgemildert werden kann." Wenn der Satz zutrifft, dass ohne glaubensstarke Kirchen das Land kühler und ärmer sein wird, dann trifft laut Zulehner eine Aussage umso mehr zu: "Ohne die Orden wäre das Land ärmer!"
"Auf die Spitze getriebene Freiheit"
Der Theologe ging in seinen Ausführungen aber auch auf interne Entwicklungsfragen der Frauenorden ein. Insbesondere hinsichtlich des "Gehorsams" sei in den vergangenen 50 Jahren ein beträchtlicher Wandel von einem Unterwerfungsgehorsam zu einem verantworteten Gehorsam feststellbar. Früher seien Selbstständigkeit und Eigenverantwortung gering geschätzt worden. Heute hingegen werde Selbstverantwortung hoch bewertet. Damit habe das Gelübde des Gehorsams "heute die reale Chance, zu jener Gestalt auszureifen, welche ihr im Rahmen einer soliden christlichen Anthropologie zukommt".
Gehorsam sei letztlich "auf die Spitze getriebene Freiheit", so Zulehner: "Ein derart gehorsamer Mensch bündelt all seine freie Verantwortung und kanalisiert diese 'auf jemanden oder auf etwas'. Dieser Jemand ist für einen gläubigen Menschen letztlich Gott selbst und das Etwas ist das in Jesus angebrochene Reich Gottes, das im Leben und Tun des eigenen Ordens konkrete Gestalt gewinnt." Vielleicht sollte man solchen Gehorsam spirituell "Gehorchsam" nennen, weil er aus einem amikalen Dialog mit Gott, aber auch mit Oberinnen erwächst, also ein Horchen voraussetzt, so Zulehner.
Diese "Zuspitzungsthese" gelte auch für die beiden anderen evangelischen Räte, führte der Pastoraltheologe aus: "Wie wäre es, Ehelosigkeit als 'auf die Spitze getriebene' Liebensfähigkeit zu begreifen?"
Auf die Spitze getriebene Armut sei dann der Einsatz allen persönlichen Reichtums für die vielfältig Armen. Zu diesem persönlichen Reichtum, zu dem, was die einzelne Ordensfrau besitzt, gehörten Zeit haben, Begabungen ins Spiel bringen, zärtliches Erbarmen und liebende Zuwendung schenken. Armut führe aber auch zum Zuhören, Ratgeben oder Trösten.
Kommunitäten überaltern
Sehr realistisch beschrieb der Pastoraltheologe die Situation der meisten Frauenorden: "Weniger treten ein. Die Kommunitäten überaltern. Viele gewachsene Ordenseinrichtungen können nicht mehr durch Schwestern geführt werden. Sie werden in Stiftungen überführt, wobei versucht wird, über entsprechende Leitbilder diesen Stiftungen den Geist der Gründerin, des Gründers einzustiften.
" Er habe einmal ein Provinzkapitel begleitet, so Zulehner, wo das Ziel darin bestanden habe, die Anzahl der damals zwanzig großen Einrichtungen auf vier zu reduzieren und zugleich Vorsorge für die alternden Schwestern zu treffen. Das sei heute kein Einzelfall. Die großen Institutionen ließen sich durch die Schwestern auf Dauer nicht tragen. Zulehner: "Mag der Orden in anderen Erdteilen blühen, hierzulande, wird er sterben." Daran würden die Zusammenlegungen der Provinzen zu immer größeren auch nichts ändern.
Hoffnung auf "Zweitgründung"
Diesem Befund hält der Pastoraltheologe aber die Hoffnung auf eine "Zweitgründung" von Orden entgegen und stellte die Frage: "Wer aber sind heute die Armen, für die es auch in sozialstaatlich gut ausgebauten, zugleich finanziell überforderten Gesellschaften noch keinen ausreichenden Support gibt?"
Eine Antwort darauf sei das verstärkte Engagement der Frauenorden in der Seelsorge, in Pfarren, Krankenhäusern oder Schulen, so Zulehner: "Natürlich ist Seelsorge eine mögliche Antwort auf die spirituelle Armut vieler Menschen in modernen Kulturen; auch die Diözesen sind dankbar für einsatzbereite Schwestern."
Manche Ordensfrauen suchten jedoch außerhalb der Kirche weiter und seien fündig geworden: "Ordensfrauen fühlen sich schwesterlich zumal mit jenen Frauen solidarisch, die auch in unseren modernen Gesellschaften Schutz vor Ausbeutung, Missbrauch und männlicher Gewalt brauchen", betonte der Theologe, und weiter: "Frauenorden sind für mich die geborene Lobby für Frauen in unserer Gesellschaft: Wer, wenn nicht sie?
" Es gebe viele moderne Arme und Nöte, die nach einer "Zweitgründung" rufen würden. Kleine, mobile Ordenskommunitäten, aber auch Netzwerke zwischen verschiedenen Orden, könnten erneut ein Segen für viele Arme im Land werden, so die abschließende Perspektive des Pastoraltheologen.
(kathpress. 15.4.2016)