Unschuldige Kinder in Gefängnissen

Bruder Lothar Wagner SDB kritisiert die Regierung Sierra Leones scharf.
Bruder Lothar Wagner SDB setzt sich für Straßenkinder in Freetown ein.

In einem Interview mit dem westafrikanischen Magazin "Politico" kritisiert der katholische Ordensbruder Lothar Wagner scharf die Regierung von Sierra Leone. "Die häusliche Gewalt, vor allem gegen Mädchen, nehmen im Land drastisch zu", so der 39-jährige deutsche Salesianerbruder. Es bestehe die Gefahr, dass eine ganze Generation durch Gewalt und Ausbeutung geprägt werde, die wiederum neue gesellschaftliche Unruhe auslösen könnten.

In dem im englischen Magazin erschienenen Interview prangert Bruder Lothar Wagner vor allem die Tatenlosigkeit der Regierung sowie die der Polizei an. "Unschuldige Kinder werden in Gefängnisse gesteckt, Mädchen vergewaltigt ohne das die Täter zur Rechenschaft gezogen würden und die Regierung tut nichts", so der Sozialpädagoge und Theologe. Die derzeitige Lebenssituation der Kinder vergleicht Bruder Lothar mit einem Krieg gegen Kinder, der gestoppt werden müsse.

Sierra Leone ist nach dem UN-Index von 2013 das ärmste Land der Welt. Eine Folge der katastrophalen medizinischen Versorgung ist die weltweit niedrigste Lebenserwartungsrate im Land. Erschwert wird der Wiederaufbau des Landes nach einem zehnjährigen Rebellenkrieg durch die Korruption. Seit diesem Jahr führt das westafrikanische Land die Liste der meist korruptesten Länder der Erde an, die jedes Jahr die Organisation "Transparency International" erstellt.

Lesen Sie hier das Interview mit Bruder Lothar Wagner SDB:

Wie schätzen Sie derzeit die Lebenssituationen von Kindern und Jugendlichen in Sierra Leone ein?
Don Bosco Fambul hat im März 2013 auf massiv steigende Zahlen von Vergewaltigungen an Mädchen und jungen Frauen in Sierra Leone aufmerksam gemacht. Täglich kommen Mädchen mit schwersten Gewalterfahrungen in unser Mädchenhaus. Die häusliche Gewalt, vor allem gegen Mädchen, nehmen drastisch zu. Das sind alarmierende empirische Daten. Wir haben also allen Grund zur Sorge, dass hier eine Generation eine Bildung und eine Sozialisation erhält, die völlig in die falsche Richtung geht. Sie können letztendlich bald größere gesellschaftliche Probleme und soziale Unruhen hervorbringen. Die Regierung tut nichts. Nun muss gehandelt werden. Nein zu Gewalt in Kinderziehung, Nein zu Vergewaltigungen und Nein zur Ausbeutung von unseren Kindern! Nach einem zehnjährigen Rebellenkrieg wollen wir, dass der Krieg gegen die Kinder endet.

Don Bosco Fambul ist afrikaweit bekannt für seine Straßenkinderarbeit. Wie sieht die Lage auf den Straßen Freetowns aus?
Das Leben auf den Straßen Freetowns ist konflikt- und gewaltbeladen. Wir stellen fest, dass immer mehr kleinere Jungen bereits im Alter unter zwölf von den Familien ausgestoßen werden und auf den Straßen landen. Viele sind auch Opfer von skrupellosem Kinderhandel. Wildfremde Menschen oder aber auch Verwandte bringen Kinder aus kinderreichen Familien aus dem Landesinneren nach Freetown. Meist versprechen die Kinderhändler ein Schulstipendium. Sind die Kinder dann in Freetown werden sie aber ausgebeutet und gezwungen für die Täter zu arbeiten. Auch hier spielt physische sowie psychische Gewalt eine große Rolle. Derzeit gehört auch eine bekannte Rechtsanwältin in Freetown zu den Tätern. Der Sozialminister und auch die Polizei ist informiert. Wir verzeichnen auf den Straßen auch eine Zunahme von Kindern aus dem Nachbarland Guinea. Die haben dann zusätzlich noch das Sprachproblem.

Sie kritisieren seit Jahren die Rolle der Polizei.
Ja, und das werden wir wohl fortführen müssen. Denn viele Polizisten machen regelrecht nächtliche Jagd auf Straßenkinder. Während wir gerade hier sprechen, wird ein Junge im Notfallkrankenhaus operiert. Er und andere wurden von Polizisten in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag, also am Vorabend des Eid al-Adha, rund um "PZ", im Stadtzentrum von Freetown, gejagt. Dabei fiel er in ein Wassergraben und brach sich das Bein. Wir haben Kinder, die tagelang in Polizeizellen zusammen mit Erwachsenen ausharren müssen. Wir haben auch Fälle der Ausbeutung von Straßenkindern durch Polizisten. Vier unserer Jungen, die wir erfolgreich wieder mit ihren Familien integrieren konnten, wurden von Polizisten in Kissy ausgeraubt und geprügelt; zwei von ihnen anschließend für zwei Tage in die Polizeizelle gemeinsam mit Erwachsenen gesperrt. Wir haben auch junge Männer, die wegen Kleindelikte im Pademba Gefängnis einsitzen, nur weil jemand seinen Einfluss geltend macht.

Was tut Don Bosco Fambul dagegen?
Wir melden die Mißbrauchsfälle der "Complaint Discipline Internal Investigation Department" (CDID) im Headquarter der Polizei. Dort werden die Fälle dann untersucht. In den meisten Fällen werden dann die Vorfälle von oberster Polizeistelle bedauert und auch ein hartes Vorgehen gegen die kriminellen Polizisten versprochen. Meist bleibt es aber bei gutgemeinten Absichten. Es geschieht aber nichts. Die Täter sind immer noch im Dienst und die Opfer, und auch ich persönlich, werden durch genau diese Polizisten auf den Straßen angepöbbelt oder sogar attakiert. Werden die Fälle öffentlich, fällt die Polizei in ihre übliche Verhaltensmuster, nämlich die der Leugnung, was zeigt, dass die Bereitschaft zur Änderung überhaupt nicht vorhanden ist. Das Regierungsprogramm "Change of Attitude" hat die Polizei noch nicht erreicht und deswegen wird es mit dem Wohlstand wohl auch noch etwas dauern.

Sind denn die Kinder und deren Familien eigentlich bereit zur Aussage gegen die Polizei?
Leider nur ein geringer Teil. Zum einen haben sie kein Vertrauen in die Polizei und ergeben sich ihrem Schicksal. Zum anderen ist die polizeiliche Untersuchung eine reine Zeitverschwendung mit Schikanen übersät. Es beginnt bereits damit, dass immer ein "Police Medical Report" eines einzigen Arztes im Counaught Hospital angefertigt werden muss. Hier erleben bereits die Opfer die erste Hürde: langes Warten mit Schmerzen sowie Kosten von 25.000 SLL, die die meisten nicht aufbringen können. Das schützt viele Täter und auch kriminelle Polizisten, denn hier geben die ersten Opfer auf. Hier besteht dringender Handlungsbedarf durch die Regierung! Mehr Ärzte und kostenfreie medizinische Untersuchung für die Opfer!

Und was geschieht bei den Vergewaltigungsfällen?
Wir haben dem Sozialminister des Landes exemplarisch vier Fälle von Manipulierung der polizeilichen Ermittlung in Vergewaltigungsfällen vorgelegt. Mutmassliche Täter befinden sich in Freiheit, Gerechtigkeit für die Opfer wird nicht hergestellt. In einem Fall ist der Täter ein einflussreicher PMDC Politiker, der derzeit keine Gelegenheit auslässt, meine Mitarbeiter und die ganze Einrichtung in Verruf zu bringen. Er hat sich verbotenerweise Zugang in unser Mädchenhaus verschafft. Er schreibt Briefe an Persönlichkeiten, wie die First Lady oder auch an ihm persönlich bekannten Minister, von denen er sich Hilfe erhofft. Wir lassen uns aber nicht einschüchtern und warten auf Ergebnisse. Ich bin stolz auf meine Mitarbeiter! Und wir setzen darauf, dass der Präsident selbst in diesen Vorgängen sehr bald Stellung bezieht.

Und wie hilft Don Bosco Fambul den Opfern?
Zunächst geben wir natürlich den Kindern Schutz und Sicherheit, medizinsche Versorgung, Nahrung, Kleidung. Wir geben Beratung und Therapie für die teilweise schwer traumatisierten Kindern. Wir haben für Mädchen, die Gewalt erfahren haben, eine Kriseninterventionsstelle, die rund um die Uhr geöffnet hat. Professionelle Sozialarbeiter geben psycho-soziale Betreuung. Kinder können uns rund um die Uhr unter der Hotline 116 anrufen und erhalten Beratung und Unterstützung. Danke an Africell, Airtel und Comium, die diese wichtige Hilfe seit drei Jahren ermöglichen. Im Übrigen nehmen die Telefonberatungen, die über Gewalt an Kindern handeln, ebenso zu.

(Interview: Übersetzung aus dem Englischen. Original Politico, Mittwoch, 14.08.2013)

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